ÖkoLinX-ARL: ... mir ist noch übel von all den deutschen Fahnen
Frankfurt/Main, den 13. Juli 2006
Jutta Ditfurth
»CDU-Grüne-Koalition in Frankfurt/Main – und mir ist noch übel von all den deutschen Fahnen«
Rede* auf der Stadtverordnetenversammlung am 13. Juli 2006 in der Generaldebatte zu den Tagesordnungspunkten 5.-9.
(Situationsbericht der Oberbürgermeisterin/Wahl einer Bürgermeisterin und von fünf hauptamtlichen Stadträt/inn/en)
Guten Tag,
ich bin stinksauer. Zum einen habe ich erfahren, dass geplant ist, die Sitzung um 22 Uhr abzubrechen, gleich nach der Wahl der neuen Dezerneten von CDU und Grünen. Alle inhaltlichen Punkte sollen von der Tagesordnung gekippt werden. Eine deutliche Mißachtung. – Was bisher vorgetragen wurde, ist unerträglich. Die miserable Rede des künftigen Fraktionsvorsitzenden der CDU Markus Frank lässt sich in einem Satz als Angriff gegen seine heutigen und künftigen Opfer zusammenfassen:
»Der schwarzgrüne Magistrat organisiert eure Armut – Armut – Armut!«
Die Rede war schlecht, rhetorische Klippschule, inhaltlich die übliche Unterwerfung unter Kapitalinteressen, keiner weiteren Kritik wert.
Wie schrecklich gut CDU und Grüne zusammenpassen, zeigt die Rede des neuen Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Ich habe mir die Gesichter der grünen Fraktion dabei angesehen: Balsam für das schlechte grüne Restgewissen. Immerhin hat man vor drei Monaten noch bestritten, eine Koalition mit der CDU anzupeilen. Jetzt ist auch klar, warum kein bisheriges Fraktionsmitglied Fraktionsvorsitzende oder Fraktionsvorsitzender werden durfte. Es bedurfte eines Sprachmanipulators, eines ehemaligen Werbeagenturangestellten, eines professionellen Politikverkäufers, um in den nächsten 5 Jahren schwarz-grün nach innen und außen zu verkaufen.
Dieser Herr Cunitz wollte heute Spannung produzieren, in dem er pathetisch unterstellte, den Grünen werde Verrat an ihren Idealen vorgeworfen. Ach was: Die Grünen können nichts verraten, was sie nicht haben.
Der neue schwarz-grüne Magistrat, den Frank und Cunitz so preisen, hat grausige Eigenschaften: autoritär, ist Kapitalknecht, umwelttechnokratisch, minderheitenfeindlich, sicherheitsfanatisch, migrantenfeindlich, bereit für weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums.
So ein schwarz-grüner Magistrat wird heute gewählt – dabei ist mir noch schlecht von den vergangenen Wochen, von all den Fahnen, dem besoffenen Gegröle, der fetten Schadenfreude, die man in Deutschland »Humor« nennt, und dem Nationalismus, der jetzt »heiterer Patriotismus« genannt wird.
[Unterbrechungen durch Zwischenrufe und Geschrei. Unter anderem der Vorwurf, das gehöre nicht zum Thema. Tatsächlich war die WM und der »Imagegewinn« Frankfurts und Deutschlands der Schwerpunkt der Rede von OB Roth zum selben Tagesordnungspunkt]
Ich habe nie verstanden und werde nie verstehen, was die Freude am Sport und einem guten Fußballspiel mit nationaler Zugehörigkeit zu tun hat. Plötzlich wurde Fußball tatsächlich zur Nebensache, die in dem fürchterlichsten Fahnenrausch unterging, den ich je erlebt habe und zu dem es bis zurück zu den Reichsparteitagen in Nürnberg keinen Vergleich gibt.
[In der Folge kommt es zu solchem Gebrüll, dass das Weiterreden unmöglich wird, zumal der Stadtverordnetenvorsteher das tut, was er am liebsten tut, wenn ich rede, mir ins Wort zu fallen, zu drohen, das Mikro abzustellen und den Versuch zu machen, mir vorzuschreiben, was ich sage]
Warum brüllen Sie so? Nennen Sie mir eine andere Gelegenheit, bei der es gleichermaßen viele Fahnen gab! – Was war dieser »heitere Patriotismus«? Oft nur blödes Gebrüll, besonders laut, wenn Kameras in der Nähe waren, Zusaufen bis die Wirklichkeit verschwindet, Schadenfreude über andere, rassistische Parolen und Kampfrufe in den Stadien und den offenen Arenen. Warum haben Sie das alles überhört und übersehen?
[Währenddessen ging das Gebrüll der üblichen Verdächtigen von CDU und FDP etc. weiter Hinten stand der CDU-Stadtverordnete Lothar Stapf auf und brüllte minutenlang: »Maul halten! Maulhalten!« usw. Natürlich wurden er und die anderen Schreihälse wie üblich nicht vom Stadtverordnetenvorsteher zur Ordnung gerufen. In der Frankfurter Neuen Presse wird behauptet, Stapf habe »Halten Sie den Mund« gesagt]
Wer die Nation braucht, ist ein armer Wicht. Wer sich im Innern wertlos fühlt, wessen Selbstwertgefühl als mensch schwach und beschädigt ist, der braucht die Nation, ein »Vaterland«, um sich anzulehnen. Jener »heitere« Patriotismus ist so emanzipatorisch wie eine Polonaise am Ballermann.
Die Neonazis haben einen weiteren ideologischen Sieg eingefahren: Nationalistische Appelle wie »stolz sein auf Deutschland«, oder »aufstehen, wenn du ein Deutscher bist« wurden nicht verlacht, nicht bekämpft, sondern entsetzlich oft befolgt.
Immens aufklärerisch war ein Ereignis: Die GEW hat eine kleine Broschüre mit der Kritik am Deutschlandlied wiederaufgelegt. Anstatt sich entspannt mit dem Text auseinanderzusetzen, haben Politikfunktionäre und viele Medien tagelang geschäumt, gleich seitenweise, unter ihnen das Hetzblatt Bild-Zeitung. Solange bis der derzeitige GEWVorsitzende kippte. Die Reaktionen in Politik und Medien haben bewiesen, dass es etwas zu verbergen galt, einen anderen Sinn hat diese Hysterie nicht: Ein neuer Schub an Nationalismus soll sich breit machen und wer nicht mitmacht ist ein miesepetriger Spielverderber und wird volksgemeinschaftlich gemobbt. Denken verboten, Skepsis verboten, Kritik verboten. Es gab und gibt ungeheure Aggressionen gegen diejenigen, die nicht mitspielen wollen.
Der Sog, der da produziert wurde war so stark, dass die blödesten Ausreden gefunden wurden, zum ersten Mal habe ich gehört, dass erwachsene Menschen eine Deutschlandfahne an ihr Auto oder ihren Fenster befestigten, weil ihre kleinen Kinder darauf bestanden.
[Andauernde wütende Zwischenrufe]
Wieviele Fälle von Rassismus und Antisemitismus wurden während der WM absichtlich nicht berichtet? Auch von der taz? Wir werden einiges erst nachträglich erfahren, wie die Verbrennung des Tagesbuchs von Anne Frank in Pretzien.
Wenn Mannschaften spielten, die der deutschen Mannschaft gefährlich werden konnten – haben sie die Schmähungen und ekelhaften Parolen und das Geschrei wirklich überhört?
Können Sie sich irgendein Land der Welt vorstellen, nehmen wir Frankreich oder Italien, das wochenlang betont, wie »normal« es ist? Dass es etwas Besonderes ist, dass Deutsche gastfreundlich sind und dass wirklich nicht jeden Tag Fremde zusammengeschlagen werden? Einem solchen Land ist nicht zu trauen. Was würden wir von einem Menschen annehmen, der uns vier Wochen lang täglich seine »Normalität« beteuert? Dass genau das Gegenteil der Fall ist.
[Etwa jetzt: Der Stadtverordnetenvorsteher stellt mir das Mikro ab, meine Redezeit sei zu Ende. Ich bitte um abschließende 2-3 Sätze. Mit der – sinngemässen — Bemerkung, dass ihm der Inhalt meiner Rede nicht passt, gewährt er diese – übliche – Verlängerung nicht und dreht mir das Mikrofon ab. Ich rede trotzdem weiter]
Kein Rassismus und kein Nationalismus während der WM? Fragen Sie die Italiener in Frankfurt, die sie kennen. Nicht einer, den ich gefragt habe, hat nicht etwas Bedrückendes erlebt. Wir haben in den Nächten nach den entscheidenden Spielen, hässliche Szenen in Frankfurt erlebt, Beleidigungen gegen Italiener, Schmähungen, Drohungen, sogar körperliche Angriffe und ein sehr beliebter »Scherz« war das ungefragte Angebot an italienische Frankfurter, ihnen den Weg zum Hauptbahnhof zu zeigen. ...
[Etwa hier durfte ich nicht weiterreden. Unter anderem der folgende Absatz fiel der rigiden Redezeitbeschränkung zum Opfer]
Am 2. Juli gewann der 20jährige Kurde Serif Akbulut beim Antirassistischen Fußballturnier in Frankfurt/Main-Rödelheim mit seinem Team den ersten Platz. Am Tag zuvor hatte er auf einer Kundgebung des Bündnisses »Just-kick-it« in Frankfurt geredet, die wir unterstützt haben. Serif wohnt seit acht Jahren mit seinen Eltern in Deutschland. Die Familie floh aus einer Bürgerkriegssituation. Wenn man all das Integrationsgerede zugrundlegt, ist Serif ein Musterexemplar an Integration. Er spricht perfekt deutsch. Er führt ein anstrengendes Leben. Er hat Freunde. Er betreut seine Eltern, auch die durch Ereignisse in der Türkei schwer traumatisierte Mutter, die in psychiatrischer Behandlung ist und in einem Monat abgeschoben werden soll. Das Problem in den Augen des deutschen Staates ist bloß: der 20jährige kann seine Eltern nicht versorgen. Damit das so bleibt, bekommt er keine Arbeitserlaubnis.
Wenige Tage nach der WM und nach seinem Sieg in Rödelheim, wurde Serif von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug einer türkischen Fluglinie verschleppt. Er protestierte gegen seine Deportation. Der Pilot weigerte sich, ihn mitzunehmen. Serif Akbulut wurde in die JVA Preungesheim gesperrt. Dann in die Jugendhaftanstalt Wiesbaden. Ein Verwaltungsgerichtsentscheid steht bevor. Serifs Deportation droht nach wie vor.
Zu Gast bei Feinden.
Das ist mehr »heiterer Patriotismus«, als auszuhalten ist.
* Das ist das Manuskript, die Rede wurde beim Vortrag gekürzt.